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Willkommen
Sie bekam Angst vor diesem Brief, vor der Vergangenheit, die sie unwiderruflich einholte, vor dem, was nach dem Lesen anders sein würde. Wieder und wieder legte sie den Umschlag zur Seite, um ihn gleich darauf erneut in die Hand zu nehmen. Sie roch daran, atmete die Jahre tief ein, die dem Papier entströmten. Ihr wurde schwindlig. Sie streichelte die Buchstaben, die ihr Vater vor unendlich langer Zeit auf das Papier schrieb, in seiner akkuraten, gleichmäßigen, schönen Schrift. Mach den Brief endlich auf! Hab keine Angst! Lies schon! Sie hörte die Stimme ihres Vaters mit ihr sprechen. Das war seit dem Ende des Krieges nicht mehr vorgekommen. Er sprach deutsch mit ihr. Lillys Hand zitterte, als sie den Brief in die Hand nahm. Sie hatte die Schrift sofort erkannt und verstand in diesem Moment, dass jetzt die Zeit gekommen war, sich an den Schneekönig zu erinnern. Lautlos glitt der Brieföffner durch das weiche Papier.
aus "Die Träne des Schneekönigs"
DIE TRÄNE DES SCHNEEKÖNIGS Mein brandneuer historischer Roman beschreibt 100 Jahre einer Gießener Familie im Spiegel der deutschen Geschichte.
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